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Ingeborg Ruthe (Auszug aus Text im Katalog LEBENSGUSS MARC KREPP, Galerie Kornfeld), 2018

… “Jüngster „Zugang“ in Marc Krepps Werkstatt wie in seiner Sammlung ist Katharina Gerolds eigenwilliges „Porträt“ in scharfem Profil, scherenschnittartig ist die Persönlichkeit. Haltung und Charakter des Einzelnen sowie Zusammenhänge, Verantwortung und Visionen im Ganzen sind ausgedrückt. Das Zwiegespaltene des Menschen, das Asymmetrische beider Gesichtshälften bekommt durch die Profilform einen radikal verknappten, zugleich philosophischen Aspekt. Durch die Balance zwischen Figuralem und Abstraktem, Archaischem und klassischem Habitus fordert das Profil uns Betrachter auf, zu fragen: Wer bist du? Und es fragt zurück: Und wer bist du? Solche Bilder von Menschen erwachsen mitten im Leben aus der Spanne zwischen persönlichen Empfindungen und gesellschaftlich-politischem Interesse. Sie entstehen im Alltag der Künstlerin oder auf Reisen. Sie wachsen aus einer intensiven Ungeduld heraus, aus Freude am Unerwarteten, aus der Selbstverständlichkeit, Mensch angstfrei zu begegnen.“ …

Ingeborg Ruthe

Amanda Gorman und das Löwenzahnfossil, Zeichen von dem, was bleibt: Die außergewöhnlichen Menschen- und Naturbilder, Galerie Helle Coppi, 2022

Berliner Zeitung, 16.Juli 2022, Text: Ingeborg Ruthe

Amanda Gorman und das Löwenzahnfossil

Zeichen von dem, was bleibt: Die außergewöhnlichen Menschen- und Naturbilder der Bildhauerin Katharina Gerold, Galerie Helle Coppi, 2022

Was sich da an der Galeriewand reiht und für uns Besucher sozusagen Spalier hängt statt steht,
sind so ganz andere Porträtköpfe, als man sie traditionell aus der Kunst der Skulptur kennt. Es sind
Leute in scharfem Profil, aus hart gebranntem, farbigem Ton: Frauen und Männer, denen die
Berliner Bildhauerin Katharina Gerold irgendwann, irgendwie begegnet ist: Junge oder Ältere,
anonyme Typen, markante Charaktere, die ihre Rollen spielen. Oder die ihr Geheimnis verbergen
hinter entschlossenen, wie abwesend in sich gekehrten Mienen. Von denen man nicht weiß, ob sie
aus der Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft kommen.

Das Asymmetrische beider Gesichtshälften bekommt durch die Profilform einen radikal
verknappten, zugleich philosophischen Aspekt. Durch die Balance zwischen realem und abstraktem,
archaischem und klassischem Habitus fordern diese fast scherenschnittartigen menschlichen Typen
uns dazu auf, sie betrachtend zu fragen: Wer bist du? Danach fragen sie prompt zurück: Und wer
bist du? Und was denkst und tust du?

Da schaut Amanda Gorman von der Galeriewand, ein leuchtend gelbes Band im Haar. Die Welt
kennt die schöne junge Frau seit dem 20. Januar 2021, als die afroamerikanische Lyrikerin und
Aktivistin zur Amtseinführung von Präsident Joe Biden ihr Gedicht „The Hill We Climb“ vortrug,
derweil Donald Trumps Mob versuchte, das Capitol zu stürmen. Auf Fotos sieht Amanda immer
lieblicher aus als hier, aus braunem Ton geformt, mit diesem in die Ferne gerichteten Blick und dem
kämpferisch entschlossenen Mund. Auf der anderen Seite des Kopfes wirkt alles weicher,
mädchenhafter.Sie scheint zu träumen. Vielleicht davon, dass eines Tages tatsächlich alle Menschen Brüder sind,
wie es der charismatische amerikanische Bürgerrechtler und Friedensnobelpreisträger Martin
Luther King bis 1968 predigte, als ihn ein weißer Rassist im Memphis erschoss.
Als das Gesicht Amanda Gormans die Medien füllte, kam Katharina Gerold in ihrem Berliner Atelier
auf die Idee, die nach dem legendären Auftritt Vielfotografierte in einem Profilkopf zu verewigen −
ihren Mut, ihren anmutigen Trotz, die Poesie der Dichterin nicht in eine traditionelle Plastik zu
übersetzen, sondern in zwei Seiten auszudrücken. Von rechts und von links gesehen diesen
Ausspruch zu betonen: „Ich bin die Tochter von schwarzen Schriftstellern, die von
Freiheitskämpfern abstammen, die ihre Ketten durchbrochen und die Welt verändert haben. Sie
rufen mich!“

Warum arbeitet Katharina Gerold, die aus Thüringen stammt und an der Dresdner
Kunsthochschule Architektur studierte, die Häuser baute, ehe sie in die freie Kunst ging,
ausgerechnet mit solcher Vorliebe mit dem Material Ton? Und warum so frappierend anders, so
unkonventionell eigensinnig, gemessen an der klassischen Bildhauerkunst?
Sie überlegt eine Weile und antwortet dann: „Ton ist Erdstoff, ist Natur. Das fasziniert mich. Ton
ist formbar, also plastisch. Er entsteht durch Erosion von Gestein, Felsen, ja ganzen Gebirgen, in
Jahrmillionen. Abgetragen von Wetter, von Stürmen. Ton ist ein reisendes Material. Es wird
transportiert von Steppenwinden, Gletschern und Flüssen und abgelagert an fernen Orten. Habe
ich dieses feinste, weitgereiste Material in der Hand, erzählt es mir von Geschichte und Essenz. Es
erzählt von der Seele der Erde.“ Sie wolle, setzt sie hinzu, aus diesem mineralreichen Erdstoff neue
Geschichten formen und erzählen. Von Menschen, die sie kaum oder gar nicht kennt, und denen sie
im Profil doch ihren Charakter und Typus gibt.

Und sie formt auf kleinen und großen, bis zu 80 Kilogramm schweren Tontafeln Gebilde der Natur.
Diese hat sie, wie einst Adelbert von Chamisso, der Philosoph mit der Botanisiertrommel, auf der
Suche nach ihren Motiven durchstreift. Katharina Gerold traf in den beiden Corona-Jahren die
heimische Version der Göttin Flora, ihre Wälder, Büsche, Wiesen, Felder. Das alles findet sich
wieder auf ihren Tontafeln, ist darin zu Kunst-Zeichen geronnen. Da ist etwa, wie gewachsen aus
einer raffiniert partiell, gleichsam als Passepartout aufgetragenen farbigen Glasur, dieser in der
Sommersonne rot getrocknete Löwenzahn.

Seine unteren Stängel retten ihr letztes Grün, wedeln um die versengten, am Rand gezähnten
Blätter herum. Eine Performance vom Werden und Vergehen. Genauso wie die gleich große
Zwillingstafel, eine Herbstszene aus müden, welken Blättern von Stauden oder Bäumen. Man denkt
unwillkürlich an die vom Klimawandel so bedrohten Ulmen. Oder an Buchenblätter, gelbrot; eins ist
schon bis aufs Blattgerippe zerfasert. Der grüne Glasunterfang bildet so etwas wie einen
Spiegelrahmen, in dem sich die vergehende Schönheit ein letztes Mal spiegelt. Man möchte Rainer
Maria Rilkes „Herbsttag“ zitieren: „Herr: Es ist Zeit, der Sommer war sehr groß. / Leg deinen
Schatten auf die Sonnenuhren / und auf den Fluren lass die Winde los …“
„Was bleibt“ taufte Katharina Gerold die zwei wandfüllenden und auch noch etliche kleinere
Reliefs. Letzteres eine Kunstform des Dazwischen seit uralten Zeiten – halb zweidimensionale
Malerei, halb räumliche Skulptur. In den Tafeln mit türkisfarbenem Glasur-Unterfang sieht man
deutlich echte Zweige, Stängel, Blätter, Blütenfetzen, angeordnet und förmlich in den vormals
nassen Ton gedrückt. Ein Prozess, der mal hart und sperrig, mal ganz zart verläuft, wie die
Künstlerin es beschreibt. Dann bringt sie die partielle Glasur auf. Danach werden die Platten in der
brandenburgischen Neuen Ziegelmanufaktur Glindow gebrannt und mit Farbpigmenten behandelt.
Oft sind sie unregelmäßig geformt, weisen − Fundstücken gleich − gebrochene Kanten und Ecken,
Risse und Spalten auf.

Die in Ton gebrannten Naturmotive sind nicht nur ein ästhetisches Ereignis, man betrachtet sie
auch wie Fossilien. Als das, was bleibt, wenn sengende Hitze drüber geht, wenn die (Jahres-)Zeit
abgelaufen ist. Wie die Erdzeitgeschichte, die auch ohne uns Menschen abläuft. Es sind Sinnbilder.
Irgendwie auch Gedenktafeln – parallel zur Jahrmillionen alten Natur.

Ingeborg Ruthe

Galerie Helle Coppi, Auguststr. 83, Mi–Sa 13–18 Uhr
bzw. nach Absprache. Tel.: 030 2835 331, bis 25. August 2023

Die Berliner Bildhauerin Katharina Gerold als Schlemihl in den Pyrenaeen, Ingeborg Ruthe, Berliner Zeitung, 2015

Die Berliner Bildhauerin Katharina Gerold

Als Schlemihl in den Pyrenäen

Von Ingeborg Ruthe

Womöglich ist der Franzose Chamisso seinerzeit nie mit der Botanisiertrommel in den Pyrenäen gewesen. Die Berliner Bildhauerin Katharina Gerold aber sucht für sich genau diesen steinigen, waldigen Weg, entdeckte da Fossilien, die sich nun auf Ton-Tafeln wiederfinden, als Spuren vom ewigen Werden und Vergehen.

War er wohl jemals in den Pyrenäen? Schwer zu sagen, ob einst schon Chamisso diese Wege gegangen ist. Der Naturforscher und Dichter („Peter Schlehmils wundersame Geschichte“) aus der französischen Champagne, Freund Alexander von Humboldts und E.T. A. Hoffmanns, hat, glaubt man der Literatur, mit seiner Botanisiertrommel, Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts, eher exotische Erdregionen wie Alaska, Polynesien oder Hawaii erkundet.

Doch unterstellen wir dem Franzosen Lokalpatriotismus und stellen uns vor, er sei, immer auf der Suche nach auch heimischen Meisterleistungen und Kuriositäten durch Göttin Flora, die Berghänge der Pyrenäen hoch- und runtergekraxelt, durch Wälder, Büsche, Schluchten und Täler, über Berghänge, Lichtungen, Wiesen, an Wasserläufen entlang gewandert – er müsste eigentlich all das schon entdeckt haben: Das alles eben, was kürzlich auf Katharina Gerolds poetischen Tontafeln zu Kunst-Zeichen geronnen ist.

Die Berliner Bildhauerin hat die steinigen Pyrenäen-Wege genommen, Gräser, Blüten, Blätter der Gebirgsregion gesammelt, echte Fossilien in kleinen Gesteinsbrocken entdeckt – und all das Geschaute dann auf ihren Plastiken zu „Fossilien“ verwandelt: zu einer Art Gedenktafeln – parallel zur Jahrmillionen alten Natur. In den weichen Tongrund drückte sie die Gräser, Farne, Blätter, Blüten ab.

Schilfiges moosiges Grün

Dann wurde das Erdmaterial hart gebrannt. Und schließlich kam zur plastischen die malerische Komponente hinzu: Schilfiges oder moosiges Grün für die tönernen Flächen, warmes Rostbraun für Stängel und Blattstände, silbriges Weiß oder Rotbraun und grünbraun für zierliche Rankenblätter. Auf einmal sind die Jahreszeiten, ja, der Faktor Zeit überhaupt, aufgehoben. Das ewige Werden und Vergehen in der Natur ist als spurenhaftes Sinnbild, als Gleichnis, eingebrannt in die Tonflächen, sparsam, fast karg, still und stumm, dabei hochästhetisch, naturnah und doch ganz von der Inspiration getragen.

Damit startet die Galerie Gräfe.art.concept in neuen Räumen, veranstaltet von der kunstbesessenen Neurochirurgin Hildegard Gräfe, ihr Programm. Die renommierte Medizinerin, selbst leidenschaftliche Sammlerin, auch von Dingen aus der Wunderkammer der Natur, favorisiert für ihren Ausstellungsort mitten im Käthe-Kollwitz-Kiez die enge Verbindung von Kunst zu den Phänomenen der Natur und des alltäglichen Lebens. In einer Vitrine neben den Plastiken sind Katharina Gerolds Fundstücke aus den Pyrenäen und von den Stränden des Mittelmeeres mitgebrachte Fundstücke versammelt, oft nur winzige, echte Fossilien. Sie verraten die Inspirationsquelle, dieser „Übersetzungen“ des Vokabulars der Natur auf die künstlichen Bildträger: „Millionen Jahre“, so Gerold, geboren in Thüringen, ausgebildet an der Dresdner Kunstakademie und etliche Jahre auch in Frankreich zu Hause, „waren auf einmal fassbar und auch wieder nicht …“

Markante Charaktere

Ihre Affinität zum Naturphilosophischen kommt in diesen zarten Werken ganz besonders zum Ausdruck. Sie korrespondieren an den Galeriewänden auf fantasievolle Weise mit all jenen „Porträts“ aus bemaltem, hart gebranntem Ton, die in den letzten drei Jahren entstanden: Leute in scharfem Profil: anonyme Frauen, Männer, denen die Bildhauerin, irgendwann und irgendwie, begegnet war: Typen, markante Charaktere, die ihre Rollen spielen. Von denen man nicht weiß, ob sie aus der Vergangenheit, der Gegenwart oder der Zukunft kommen. Das Zwiegespaltene des Menschen, das Asymmetrische beider Gesichtshälften bekommt durch die Profilform einen radikal verknappten, zugleich philosophischen Aspekt. Durch die Balance zwischen Figuralem und Abstraktem, Archaischem und klassischem Habitus fordern diese fast scherenschnittartigen Typen auf, sie zu fragen: Wer bist du? Sie fragen zurück: Und wer bist du?

Diese zwei Seiten einer bildhauerischen Kunst, die Geschautes und Konzeptionelles, Prosaisches und Poetisches sinnfällig vereint, belegen aber ein immergleiches Vorgehen: Es sind Formen – menschliche Köpfe wie als „Fossilien“ entdeckte Gewächse, wachsen als Lebenszeichen heraus aus dem tönernen Bild-Träger. Die Sinnlichkeit des Materials und die Sprache der Zeichen markieren die Oberfläche.

Ingeborg Ruthe

Die Figuren von Katharina Gerold, Friedrich Kühn, Katalogtext, 2008

Die Figuren von Katharina Gerold
von Friedrich Kühn

Die Figuren von Katharina Gerold begegnen einem wie Personen, die unvorhergesehen aus dem Dunkel eines sakralen Raumes auftauchen und plötzlich, schweigend, vor einem stehen.
Sie schauen einen nicht direkt an. Sie kommunizieren nicht. Sie scheinen nichts zu erwarten.
Dennoch haben sie eine starke Präsenz, der man sich nicht verweigern kann.
Ihre Haltung hat etwas Aristokratisches, was einen anzieht und gleichzeitig auf respektvollem Abstand hält. Man möchte den Figuren näher kommen, ist sich aber nicht sicher, ob man sie erreichen kann. Man fühlt sich ihnen vertraut, aber nicht auf der gleichen Ebene.
Und diese Widersprüche, die sich aus der einfachen, fast möchte man sagen unscheinbaren, und dennoch so unbeirrbaren und starken Präsenz der Figuren, aus Nähe und Distanz ergeben, üben eine respekteinflößende Wirkung aus, die einem aus Kindertagen vertraut scheint, als man schweigend und auf Abstand bedacht, bewundernd Erwachsene betrachtete.

Was ist es aber, was diese Stärke der Figuren erzeugt?

Zunächst ist es das Material, aus dem die Figuren geschnitten, gebaut, geformt sind.
Mit Ton verbinden sich Eigenschaften wie Festigkeit, Wärme und Dauerhaftigkeit.
Ton ist kein Material, welches man mit Luxus oder Prunk assoziiert. Ton vermittelt eine ehrliche, ursprüngliche Einfachheit, die eben nicht glänzt und schimmert und somit im Widerspruch zum Glamour der Oberflächlichkeit steht. Ton ist in erster Linie kein Material der Kunst, sondern eher eines des Bauens, des Handwerks und des Schaffens. Und dennoch zeigt die Struktur des Materials mit ihren kleinen Rissen, Verformungen und Unebenheiten eine Tiefe, die den Blick verweilen und suchen lässt, als könnte man dem Material Geschichte entlocken.

Dann sind da die Farbtöne, die ebenfalls jede Aufdringlichkeit vermissen lassen. Braun, Dunkelrot, Ocker und Schwarz sind Farben, die Zurückhaltung und Ruhe vermitteln. Es sind Farben, wie sie der Erdboden und Häuser tragen, Farben, mit denen man ebenfalls Wärme und Geborgenheit verbindet.
Diese Farben haben nichts Schreiendes und fordern nicht heraus. Sie sind einfach da.
Sie stechen nicht. Sie blenden nicht. Sie provozieren nicht.
Sie begleiten und halten sich zurück. Aber dennoch beherrschen sie die Umgebung und tauchen das Umfeld in ein warmes Licht. Mitunter verschlucken die Farben das Licht und geben so dem Unentdeckten, Verborgenen und Geheimnisvollen seinen Platz.

In dieses Material und diese Farbtöne sind Formen geschnitten, die scharfe Schatten werfen.
Es sind Figuren mit Charakter entstanden, deren akzentuierte Linien einen starken Willen und Unerschütterlichkeit vermuten lassen.
Die Formen widersetzen sich dem Wunsch nach Geschmeidigkeit und geschliffener Belanglosigkeit.
Sie gefallen nicht und ziehen dennoch die Betrachtung auf sich. Man kann in ihnen lesen, als wären sie Ausdruck von Haltungen und Überzeugungen. Diesen Formen wohnt ein an Arroganz grenzendes Selbstverständnis inne, das unweigerlich zum Widerspruch herausfordern würde, wären es menschliche Wesen.

Die Hintergründe, welche ebenfalls aus Ton geformt und in den gleichen Farbtönen gehalten sind, zeigen Andeutungen von Raumelementen, Gebäuden, Wänden oder Landschaften, vor denen die Figuren stehen, in denen sie agieren oder aus denen sie heraustreten.
Durch die Identität des Materials und der Farbgebung sind die Figuren in einer Art mit ihrem Hintergrund verbunden, die den Eindruck der Dauerhaftigkeit unterstreicht.

Auf diese Weise entstehen Bildwerke aus Figuren und Hintergründen, die etwas Gebautes, Bleibendes, Festes haben und schlichte Unerschütterlichkeit vermitteln.
Sie sind Sinnbilder der Architektur. Es ist eine archaische Architektur, die dem ewigen Bedürfnis nach Geborgenheit, Sicherheit und Verlässlichkeit Ausdruck verleiht.
Und indem diese Sinnbilder aus Figuren erwachsen, sehen wir Personen, die Eigenschaften und Ansprüche transportieren, welchen ein Mensch mit seinen Ängsten und Schwächen, Träumen und Stärken nicht gerecht werden kann. Und hier finden wir den Widerspruch, der diesen Objekten innewohnt und sie so anziehend macht:
Es treten uns Figuren entgegen, deren Eigenschaften wir mit solider Architektur verbinden,
Eigenschaften, die wir uns vielleicht aber von Menschen erträumen, wissend, dass wir sie so bei Menschen nicht finden werden.

Mag sein, dass Katharina Gerold – selber Architektin – hier ihren eigenen Zugang zur Architektur in Szene setzt. Oder sie spielt mit den Erwartungen an Menschen und stellt diese bewusst in Frage, indem sie menschliche Eigenschaften verschlüsselt und sie in gebaute Dauerhaftigkeit versteinert.
In jedem Fall erzeugen ihre Objekte jene Aufmerksamkeit, welche von Dingen hervorgerufen wird, die auf den ersten Blick natürlich wirken und denen dennoch etwas nicht zu greifendes Unentdecktes anhaftet.

Mit Hilfe eines völlig anderen Mediums beschäftigt sich die Künstlerin mit der Übersteigerung der Objekte. Dazu fotografiert sie ihre Skulpturen einzeln oder in Gruppen und fertigt überdimensionale Abzüge der Aufnahmen an. Auf diese Weise steigert sie die Wirkung der Bildnisse ins Surreale und abstrahiert sie gleichzeitig in einem Maß, das uns den direkten emotionalen Zugang erschwert.
Das Natürliche der Objekte, das Material, die Farbtöne und die Figuren werden in der Reproduktion zu etwas Künstlichem. Jene Künstlichkeit entzieht die Bildnisse der emotionalen Nähe und hebt sie auf ein Podest. Die Überhöhung erleichtert gleichzeitig den Umgang mit den Werken, denn sie entspricht eher den Gewohnheiten in einer medialen Welt, deren Wesen oftmals in einer vereinfachenden, surrealen Überhöhung Ausdruck findet.
So entsteht ein Abstand, der den Betrachter unbefangener belässt. Diese Verfremdung kann man als bewusstes Distanzieren der Künstlerin deuten. Oder das Distanzschaffen ist Ausdruck eines Reflexes, der uns in einer auf schnellen Zugang zurechtgeschnittenen täglichen medialen Umgebung notwendiges Handwerk des Verarbeitens und Verkraftens geworden ist.

Friedrich Kühn

Späher, Boten, Wächter oder ”Der Raum zwischen Erinnerung und Erwartung", Anmerkungen zu Katharina Gerolds Skulpturen, Montotypien und Prints, Ingeborg Ruthe, Berliner Zeitung, 2010

Anmerkungen zu Katharina Gerolds Skulpturen, Montotypien und Prints von Ingeborg Ruthe

Späher, Boten, Wächter

oder

Der Raum zwischen Erinnerung und Erwartung

Rilkes Verse sind ihr nahe. Katharina Gerold liest aus ihnen Entsprechung.
Das liegt gewiss am wahlverwandten eigenwilligen spröden Duktus, an der kühnen Metaphorik, an der verschlüsselten Symbolik – und an den oft entlegenen Bezügen der Sprache.

Bei ihr sucht sich solche Entsprechung Form im Erdmaterial Ton, auf Bildflächen mit hell-dunklen Farbstrukturen. Und in einer Tektonik der Motive, die zeitlos elegisch wirken, unsentimental streng, fast autark – doch hoffend auf Zuspruch.
Katharina Gerold formt tönerne Männergestalten zwischen Realem und Abstraktem:
Späher, Boten, Wächter aus einer archaischen, einer mystischen Welt.

Jedoch kommen ihre Kunstformen nicht aus der Mystik, der Dramatik oder der Literatur.
Sie illustriert nicht. Ihre Bilder und Skulpturen sind entstanden mit dem strengen, ja fast rationellen, alles Überflüssige ignorierenden Architekten-Blick. Sie haben nie den Habitus des Erzählens, sondern immer den des Gebauten. Es gibt in diesen Formungen keine Geschichte, keine Handlung, auch keine traute Harmonie.

In extremer Reduktion bündeln die bis zu 50 Zentimeter hohen archaischen Skulpturen aus hart gebranntem, rotem oder gelbbraunem Ton Kräfte: primäre, universelle, spannungsvolle Energien.
Die Skulpturen und die Reliefplatten beschäftigen sich mit dem denkbar existenziellsten Konflikt: mit dem dialektischen Gegensatz von Werden und Vergehen. Mit dem Raum zwischen Erinnerung und Erwartung. Es ist da eine intensive Kommunikation zwischen dem Erdstoff und der fast schmerzhaft harschen Form. In dieser Kommunikation sind Gewalt und Zärtlichkeit.

Ton, dieses weiche, formbare, geschmeidig gleitende und sanft mit Wasser glattzustreichende Material verlockt andere Plastiker zu Gebilden voller Sanftheit, Erotik und Harmonie.
Bei Katharina Gerold entstehen Formen voller Schärfe; sie wachsen aus dem hart gebrannten Tongrund. Oft sind es nur Hals, Kopf und Füße, die sich aus dem Boden abheben, dann wieder die ganze Gestalt, aber fest eingepasst, unentrinnbar verbunden mit dem Untergrund. Andere Figuren stehen in Spalten, die an Räume und Wege erinnern.
Für Katharina Gerold ist diese Ambivalenz der Form sehr wohl ein entscheidendes technisches Moment. Für uns Betrachter ist es vor allem eine Botschaft. Wie geheimnisvolle, stumme Fremdlinge wirken die Gestalten, abstrakt, ja, mimetisch-minimalistisch – und in ihrer Kleinheit raumgreifend. Sie ruhen in einer verinnerlichten, zeitlosen Blockhaftigkeit, sie erscheinen fremd und doch auch vertraut, haben eine auratische Distanz zur Gegenwart.

Angefangen hat alles vor Jahren mit Monotypien, diese druckt die Künstlerin mit handlichen Holztafeln, viele Farben übereinander. Dazwischen spannt sie weiße Papierblätter, so erreicht sie Aussparungen, lichte Flächen mit Abgrenzungen, rätselhaften Übergängen und grafischen bis malerischen Binnenstrukturen. In den fast miniatürlichen Monotypien mit ihren Erdfarben-Strukturen erscheinen Schichten oder Gemäuer, Farbtöne der Baukunst, Spuren von Städten, Straßen, Plätzen. Paris brachte erste, erfolgreiche Ausstellungen.
Hier beginnt sie auch wieder Skulpturen in Ton zu formen. Die ersten Figuren waren bereits in ihrer Kunstschulzeit entstanden als Modelle für einen Wettbewerb um eine Platzgestaltung in Berlin.

Für die Serie der Prints baut sie die kleinen, strengen, statuarischen Tonfiguren auf vor den Farbflächen der Monotypien – halb entsteht so Architektur, halb Inszenierung. Schließlich fotografiert sie die Szene, zieht das reichlich surreale Motiv hypergroß als C-Print auf den Bildgrund. Die Figuren vor diesen aufgerissenen Farbstrukturen auf der großen Bildfläche wirken fremd, introvertiert, auch tragisch. Die schroffen Gestalten in ihrer mehrseitigen Ansichtigkeit erfahren gerade in der Vergrößerung durch die Fotografie und das Aufziehen der Motive auf die großen Bildflächen eine Dramatisierung – zugleich wirken sie hochgradig verletzlich.

Skulpturen sind heute Katharina Gerolds wichtigste Ausdrucksform. Es ist Kunst, die nach Form sucht, geprägt durch die Architektur, durch den Plan, das Experiment. Die Künstlerin schafft Formen und Figuren, deren Spannung im schwer zu interpretierenden Ausdruck liegt.
Hier ist die Form herausgeholt aus dem Nichts, während andere, der große Giacometti etwa, die figurale Form ins Nichts getrieben haben.

Katharina Gerold ist Architektin, sie entwirft, baut, restauriert im Alltag Lebens-Räume. Zugleich fühlt sie sich stark hingezogen zur freien Kunst. Schon an der Kunsthochschule Dresden legte sie dem Diplom noch zwei Studienjahre nach, weil architekturbezogene Kunst sie viel mehr interessierte als pragmatische Plattenbauten. Kurz vor dem Fall der Berliner Mauer ging sie von Dresden und Berlin aus weg nach Amsterdam, lebte danach in Paris und begann dort intensiv zu malen und Skulpturen zu formen.

Und heute, in Berlin, ist in Katharina Gerolds Atelier das Basismaterial ihrer Kunst gehortet und gehütet in feucht gehaltenen Plastiksäcken: Ton – roter, gelblicher, grauer, grünlicher Erdstaub, aus dem sie jene kleinen, schroffen Figuren formt, die sie sich in ihren kühnsten Träumen als monumentale Gestalten denkt, die einen Berliner Platz überqueren.
Als Zeichen im Raum – einem architektonischen, einem urbanen Lebensraum.

Ingeborg Ruthe

Skulpturen der in Berlin lebenden Künstlerin und Architektin Katharina Gerold in der Galerie gräfe art.concept , Marion Pietrzok, nd, 2015, Mit Charakter

Mit Charakter

Skulpturen der in Berlin lebenden Künstlerin und Architektin Katharina Gerold in der Galerie gräfe art.concept von Marion Pietrzok

Was für Menschen sind das, was geht in ihnen vor, was haben sie erlebt, fragt man sich beim Anblick der Gesichter, die so schmal sind, dass die Köpfe, aus Ton geformt und gebrannt, kaum mehr als das Gefüge jeweils des rechten und linken Profils sind. Ihre markanten Züge, scharf modelliert, weisen sie als starke Charaktere aus. Einen starken Auftritt haben sie in der Galerie gräfe art. conzept in der Kollwitzstraße.

Die Skulpturen hat die in Berlin lebende Künstlerin und Architektin Katharina Gerold geschaffen, Portraits von enormer Ausdruckskraft, die sich am Besten figürlicher Bildhauerei messen lassen. Wundersam herb. Menschen mit Ecken und Kanten. Die Art und Weise allerdings, wie sie dem Betrachter entgegen treten, ist einzigartig: als Reliefs von Köpfen, die beide Profile zu gleich zeigen. An der Wand angebracht ragen sie in den Raum, harte Schatten werfend. Oder stehen als mehrfigurige Gruppe auf abstrakt-baumartigen hoch gereckten Stelen.
Die Festigkeit des Materials, des ehemals geschmeidigen Tons, der — gleichsam als die dem Menschen vom Leben auferlegten Prüfungen — mit hoher Temperatur gebrannt wurde, steht in nichts der Bronze nach, die für einige andere der ausgestellten Arbeiten verwendet wurde. Hier fächern sich die Profilscheiben aus quadratischen Reliefflächen heraus, die wiederum tiefe Räume imaginieren, in die man über Treppen hinein steigt oder deren Ferne durch diffuses Licht erahnbar wird. Geheimnisvollen Theaterprospekten gleichen diese Szenerien.
Die Bronzen sind unterschiedlich patiniert, zwischen Düsternis und Helle vermittelt der Bildausdruck Kostbarkeit. In unaufdringlichen Farben gehalten auch die Portraits aus Ton, mal ist der Mund naturalistisch rot hervorgehoben, mal sind die Augen betont, blau vielleicht. Nirgendwo Glätte, an der der Blick des Betrachters abrutschen würde, sondern feine Binnenstrukturen, Risse, Kanten, Brüche wie aus dem Fels geschlagenem Stein sie eigen sind.
Das ist das Eigentümliche: Diese Menschen, als die wir die Köpfe nehmen, bleiben würdevoll bei sich, sind konzentriert auf ihr Sein, streben den Kontakt mit dem Betrachter nicht an – der jedoch sucht zu verstehen, was sie nachdenklich macht, wo sie stehen, welchen Grund es für ihre Strenge gibt. Obwohl sie nicht abweisend sind, begegnet man ihnen doch mit Respekt, so dass man sie nicht neugierig und dabei möglicherweise auf irrige Deutungen kommend ausforscht, sondern ihr stolzes Da-sein annimmt. Und das eigene Leben überdenkt.
Katharina Gerold, in Gera geboren, hat in Dresden und am Bauhaus Dessau studiert, arbeitete als Architekten in Amsterdam und später in Berlin, begann zuvor in Paris als freischaffende Künstlerin und seit 1993 wurden ihre Arbeiten – Plastik, Grafik, Malerei – im In- und Ausland ausgestellt. Die Galeristin Dr. Hildegard Gräfe kann mit der Ausstellung dieser eindrucksvollen Werke, die außerdem Tonarbeiten umfasst, die wie archaische Fundstücke auch Florales und Fossiles assoziieren, eine Premiere feiern: Sie bezog mit den Räumen auf zwei Etagen in der Nummer 72 der Kollwitzstrasse endlich eine eigene Galerie. Welchen Künstler auch immer sie fürs interessierte Publikum entdeckt hat und – wie jetzt mit der exzellenten Präsentation neu vorstellt: Sehenswert von hohem ästhetischen Reiz und inhaltlichem Anspruch.

Marion Pietrzok

Schweigende Zeitzeugen, Katharina Gerolds Skulpturen in der Galerie Kuckucksnest, Ingeborg Ruthe, Berliner Zeitung

Aus dem Reliefgrund treten Gestaltzeichen in Weiß, Grün, Braun, Blau, Rot oder Schwarz: archaische Figuren, die mit Kopf, Hals, Nase hineinkragen in den Raum. „Zeit Zeugen“ nennt die Berliner Künstlerin Katharina Gerold diese Arbeiten. Sie sind in der Galerie Kuckucksnest zu sehen. Ihre Zeugen, die aus hart gebrannten Tonreliefs und Bronzen hervortreten als Charaktere, stehen schweigend vor uns, auftauchend aus einem dunklen, wie sakralen Raum.

Aus diesem Raum tritt vor allem eine typische Gestalt, die sich durch dieses noch junge Skulpturenwerk zieht wie ein Leitmotiv, wie ein Gleichnis: Der Wächter, stumm, anonym, nicht eigentlich richtig anwesend in oder verbunden mit der Welt. Man kann ihn als Schutzgestalt sehen. Oder als Mahnung. Oder als autoritäre Geste. Auch als Wegsucher, Späher oder Bote.

Formal streng und zugleich von einer herben poetischen Haltung durchdrungen sind die Gestalten. Sie verschließen sich jeder assoziativen Interpretation, zugleich steckt in ihnen eine große Ästhetik zwischen Figuralem und Abstrakten, zwischen Archaik und klassischem Habitus, zwischen Prosaischem und Poetischem. Zwischen Realem und Surrealem. Rätselhaft wirken die Figuren in ihren hell-dunklen, mitunter chromatischen Farbstrukturen, was die Gestalten wie unter Eis erscheinen lässt. Sie wirken zeitlos, elegisch, melancholisch, autark – und doch energetisch und hoffend auf Zuspruch. Diese Wächter – oder Boten – kommen aus einer mystischen, archaischen Welt. Sie tragen eine Geschichte, aber sie erzählen nicht – und sie haben eine auratische Distanz zur Gegenwart.

Es sind Fremdlinge und sie entstammen keiner Literatur, sondern sie wachsen aus blockhaft fest Gebautem, aus einer architektonisch aufgefassten Komposition. Ihr Dasein basiert auf innerer Spannung, als verberge sich dahinter ein existenzieller Konflikt. Und zugleich eine übergroße Sehnsucht nach Teilhabe am Leben.

Hinter diesen Wächtern, einzeln oder als Ansammlung aus dem Reliefhintergrund tretend, hinter Treppen, die ins Nichts oder zu einem imaginären Sehnsuchtsziel führen, steckt eine strenge, gedankentiefe Kunst. Ein Ausdruckswille, der Künstlerin, der nach Reduktion sucht und dabei das Planvolle mit dem durchaus spielerischen Experiment verbindet.

Katharina Gerold, geboren in Gera, hat an der Dresdner Kunsthochschule Architektur und baugebundene Kunst studiert. Nach 1990 lebte sie in Amsterdam und Paris, dort sah sie in den Museen immer wieder die Figuren von Giacometti. Doch lässt sie ihre hochgereckten Gestalten, die scharfe Schatten werfen, nicht wie dieser im Raum verschwinden. Eher scheint es so, ihre Refliefs halten die Figuren fest, verhindern, dass sie zurückkehren in ihre rätselhafte Welt.

Ton, dieser hart gebrannte Erdstaub, dieser Stoff fürs Bauen und Schaffen, fürs Handwerkliche und Behauste, ist Katharina Gerolds bevorzugtes Material, scheinbar sicher, warm, unerschütterlich. Aber da sind Unebenheiten im soliden Material: Risse, Zerklüftungen. Mitunter stecken darin Zeichen: Blätter, Früchte – anzusehen wie fossile Chiffren: Verweise auf eine arkadische Welt, die es nicht mehr gibt.

Neuerdings bezieht die Künstlerin auch Holz in ihre Arbeiten ein. Aus hügel- oder felsartigen Formationen ragen Frauen- und Männergestalten – Kopfwesen, die es im Leben zusammen nicht auszuhalten scheinen, alleine aber auch nicht. Einige wandern – oder pilgern? – in schicksalhaft zusammengeschweißten Gruppen über den Berg, sich Halt gebend oder aber sich gleichsam nach unten ziehend. Welche Metapher für unsere Zeit!

Ingeborg Ruthe

Publikationen

  • 2018 – Katalog LEBENSGUSS MARC KREPP, Galerie Kornfeld
  • 2014 – 16. Kunstauktion, Überleben-Stiftung für Folteropfer
  • 2014 – Parc Samsara 2014, J.L.Servan-Schreiber, Roussillon (F)
  • 2012 – Auftakt, Galerie Lux, Berlin
  • 2012 – Menschenbilder, Wiesenburger Kunsttage 2012
  • 2009 – Katharina Gerold Skulpturen, Prints, Monotypien